Wasser statt Wüste
Abdel Hassan flucht und schimpft. Der Motor seiner zwölf Meter langen „Fatma“ will einfach nicht anspringen. „Lass mich nicht im Stich“, flüstert der 66-Jährige und streichelt sanft über das wettergegerbte Holz des Steuerrads. Ein Stoßgebet in Richtung Himmel, eine beherzte Drehung des Zündschlüssels, dann steigt ein Abgaswölkchen auf und zaubert ein Lächeln auf Abdels Gesicht. Der bauchige, weißrote Holzleib erschauert kurz, zittert – und nimmt langsam Fahrt auf. „Na also“, brummt der Käpt´n, „geht doch“.
Der heiße Frühlingswind Chamsin mit Kurs aus Süd stichelt ein bizarres Kräuselmuster auf den Wasserspiegel. „Nehmt euch ein Mineralwasser“, sagt Abdel und zeigt auf die Kühlbox neben sich. Die Temperatur werde wohl noch bis 35 Grad Celsius steigen.“ Wir, sechs Tauchurlauber aus Deutschland, reiben uns – noch müde von der kurzen Nacht – die Augen und fliehen unter den Schatten des aufgespannten Sonnenschutzes.
Gleich bei Tagesanbruch sind wir zu unserer ersten Tauchfahrt aufgebrochen, um „das gute Licht auszunutzen“. Abdel weiß: Schnell kann sich hier der Himmel zuziehen, der Wind drehen und Sandwolken vor die Sonne wirbeln. Dann wäre die ideale Tauchtiefe von bis 20 Metern nicht mehr ausreichend ausgeleuchtet. Und die eigens für den Ausflug gekauften Unterwasserkameras nutzlos.
Hurghada, „Bootssteg“. So heißt die 30 Kilometer lange Küsten-Agglomeration, die in den Achtziger Jahren zum führenden Badeort am Roten Meer ausgebaut wurde – mit zahlreichen Hotelanlagen, meist mit privatem Strand, und kleinen Marinas, in denen sich Yachten und Jollen im Wind wiegen. Und vor allem mit Tauchschulen.
Die Reviere heißen Safaga, El Gouna und Quseir. Und Marsa Alam, Taba und Sharm-el-Sheikh. Leicht zugängliche Korallenriffe warten hier, aber auch Wracks in 30 Metern Tiefe. Udo kommt ins Schwärmen. Tauchen sei „ein wenig wie Raumfahrt unter Wasser“, sagt der 23-jährige aus Bad Gandersheim. Und berichtet, wieder an Bord nach seinem ersten Gang in die Tiefe, von glasklarem Wasser, der prächtigen Sicht und einer Fauna und Flora, „die großartig ist“.
Selbst Anfängern tut sich nach wenigen Metern eine Welt auf, die einem exotischen Aquarium gleicht. Neugierige Doktorfische und gemütliche Zackenbarsche ziehen vorbei, Schmetterlingsfische, Clownfische oder Büffelkopf-Papageienfische, mitunter ein wedelnder Manta, Barrakudas, Tintenfische, Seesterne, farbenprächtigste Anemonen – und Korallengärten, in denen sich schon einmal ein kleiner Katzenhai oder ein Blaupunkt-Stachelrochen räkelt, nichts Gefährliches.
Nur angucken, nicht anfassen – dieser Slogan gilt auch hier. Die meisten Tauchschulen würden „verantwortlich geführt“, sagt Tauchlehrer Fred, der uns auf den Trip im Roten Meer begleitet. „Alleine geht keiner runter, und wir Tauchlehrer passen auf, dass niemand Schaden anrichtet“. Seit 20 Jahren arbeitet der ehemalige Sportartikelverkäufer mit dem ratzekahlen Kugelkopf schon hier, und hat sich seit damals ein Ziel gesetzt: Neben der Freude am Tauchen auch die Ehrfurcht vor der Natur zu bewahren.
Tauchplatz „The Three Pools“. Wir sind angekommen: Tarier-Westen anlegen, Flaschen schultern, Flossen, Maske und Lungenautomaten überprüfen, Bleigürtel umschnallen. Fast 20 Kilogramm Gepäck. Und ab geht’s, eintauchen in diese ganz andere Welt, durch einen Wirbel feinster Luftblasen sich fallen lassen – in eine Tiefe, die nichts Bedrohliches hat. Im Gegenteil: die ihre Gäste willkommen heißt. Und da schwimmt es auch schon herbei: Das Begrüßungskomitee der Arabischen Doktorfische, das sein Flossen-Ballett nach der ewigen Choreographie der Evolution zelebriert.